«Das Beste daraus machen.»
Hans Zünd ist einer von rund 50 Männern, die in der Schweiz jährlich an Brustkrebs erkranken. Der fünffache Grossvater erzählt, wie es ist, an einer Krankheit zu leiden, die vor allem als Frauenkrankheit wahrgenommen wird und warum er sich in die Öffentlichkeit wagte, um zu sensibilisieren.
Text: Sibylle Augsburger Hess
Lesezeit: 5 Minuten
Einmal im Jahr verbringt Hans Zünd gemeinsam mit seinen drei erwachsenen Töchtern Ferien. Es ist Juli 2021 als sie in Vitznau im See baden und er unter der Dusche eine Wölbung auf der linken Brust bemerkt. Eine seiner Töchter rät ihm, sich sofort untersuchen zu lassen. Noch am selben Tag kontaktiert er seine Hausärztin. Obwohl sie in den Ferien weilt, erhält er einen Termin. Dann geht alles schnell. Seine Hausärztin überweist ihn ans Brustzentrum Rheinfelden. Hier wird eine Biopsie durchgeführt. Nur wenige Tage später das Resultat: Brustkrebs im zweiten Stadium, ein Tumor in der Grösse von zwei Zentimetern. In derselben Woche, am 13. August 2021, wird er operiert. Die Brust samt Drüsen und Lymphknoten wird entfernt. «Ich hatte nach der Operation während drei Wochen Phantomschmerzen, hatte das Gefühl, meine Brustwarze schmerze, obwohl diese gar nicht mehr da war», erinnert sich Hans Zünd.
Unerschütterlich zuversichtlich
Natürlich habe er nach der Biopsie nicht gerne gehört, dass er Brustkrebs habe, sagt er. «Mit dem Schicksal zu hadern, bringt aber nichts. Viel wichtiger ist, die Situation anzunehmen, zu schauen, was der nächste Schritt ist und das Beste aus der aktuellen Situation zu machen», sagt der 70-Jährige fünffache Grossvater. So war es denn Hans Zünd selbst, der seiner Familie nach der Schockdiagnose Trost, Zuversicht und Mut zusprach. In seiner Überzeugung, dass alles gut wird, sei er unerschütterlich. «So sehr, dass eine meiner Töchter drei Monate nach der Operation meinte, ich könne nun aufhören, Theater zu spielen und unermüdlich Zuversicht zu vermitteln», erzählt er augenzwinkernd.
Nach der Operation wird klar, dass keine Bestrahlung oder Chemotherapie nötig ist. «Ich hatte Glück im Unglück», so Hans Zünd. Nur einmal hat er kurz gehadert und fiel in eine Selbstmitleidskrise, wie er selber sagt: Die Hormontabletten, die er seit der Operation während fünf Jahren einnehmen muss und die hauptsächlich Frauen verschrieben werden, haben Nebenwirkungen. In Absprache mit Dr. med. Maik Hauschild, Leiter des Brustzentrums Rheinfelden, fand er eine Lösung. «Wenn ich eine Chance habe zu kämpfen, dann tue ich dies», sagt er ganz getreu seinem Motto, «das Beste aus der Situation machen». Seit vielen Jahren befasst er sich mit Astrologie, Numerologie, Autosuggestion (Selbstbeeinflussung) und mentaler Stärke. Während seinem Berufsleben als Verkaufsleiter und Finanzberater tat er dies hobbymässig, nach einer Ausbildung zum Autosuggestions-Trainer reserviert er heute zwei Tagen die Woche für seine Arbeit als Mental Coach. «Mit unserer Einstellung können wir viel bewirken», ist Hans Zünd überzeugt.
Austausch mit Betroffenen gesucht
Dass eine Brustkrebserkrankung häufig als Frauenkrankheit bezeichnet wird und die Therapie stärker auf Frauen ausgerichtet ist, hat dazu geführt, dass Hans Zünd mit seiner Geschichte an die Öffentlichkeit ging und sich im Blick mit nacktem Oberkörper zeigte. «Es ging mir nicht um Publicity, sondern darum, aufzuklären und zu zeigen, dass auch Männer an Brustkrebs erkranken können. Gemäss den Zahlen der Krebsliga erkranken in der Schweiz jährlich etwa 50 Männer neu an Brustkrebs. Jährlich gibt es rund 6300 neue Fälle von Brustkrebs bei Frauen. Sein Wunsch war, mit Hilfe des Blick-Artikels andere Männer kennenzulernen, die das Gleiche erlebt haben und sich mit ihnen auszutauschen. Die Resonanz war jedoch gering. Mit einem Betroffenen führte er ein längeres Telefongespräch. «Das war gut, aber mehr oder gar eine Gruppe von Betroffenen, die sich regelmässig trifft, ist daraus nicht entstanden», erzählt er.
Dass er am Brustzentrum Rheinfelden während seines sechstägigen Aufenthalts nach der Operation und auch heute bei den Kontrollen, die alle drei Monate stattfinden, der einzige männliche Patient war und ist, stört ihn nicht, im Gegenteil: «Während des Spitalaufenthalts hatte ich einen Männerbonus», meint er lachend und ergänzt: «Die Betreuung war professionell und sensationell gut.» Und was empfiehlt er anderen Betroffenen? Einen sorgfältigen Umgang mit sich selbst und nicht in Selbstmitleid zu verfallen, sondern das Beste aus der Situation zu machen. «Das Glas ist halb voll und nicht halb leer.»